Dänemark ist ein Vorreiter in der Digitalisierung der Verwaltung: Bürger- und Unternehmensleistungen sind fast komplett digital abrufbar. Doch wie ist es gelungen, die digitale Transformation auch beim Personal des Öffentlichen Dienstes umzusetzen? Welche Strategien verfolgen die dänischen Behörden in der Rekrutierung? Antworten auf diese Fragen gab es bei einer „Next:Kursion“ vor Ort in Kopenhagen.
Next:Public veranstaltete vom 30.09 bis 01.10. eine „Next:Kursion“ nach Kopenhagen, in Kooperation mit dem ddn und der königlich-dänischen Botschaft in Berlin – beiden Partnern möchten wir an dieser Stelle nochmals herzlich für die Unterstützung danken! Mit uns auf „Kulturwandler-Next:Kursion“ gingen 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Bundes- und Landesverwaltung, Kommunen und IT-Dienstleister.
„Weil der Alltag digital ist!
Die erste Station unserer Next:Kursion ist ein Pflichtbesuch für jeden E-Government-Interessierten: die dänische Digitalisierungsagentur, eine Behörde angesiedelt im dänischen Finanzministerium. Die Agentur ist 2011 gegründet worden, hat derzeit rund 290 Mitarbeitende, und hat im wesentlichen drei Aufgaben:
- Koordination der dänischen Digitalpolitik: Das bedeutet vor allem die Unterstützung bei der Umsetzung der föderalen Digitalisierungsstrategie, aktuell gilt die Strategie von 2016 bis 2020. Übrigens: Die Digitalisierungsstrategie wird von der Regierung, den Städten, den dänischen Regionen bis runter zu Universitäten, Schulen und Krankenhäusern, gemeinsam formuliert und getragen.
- Die Digitalisierungsagentur ist Eigentümerin der digitalen Infrastruktur: Das ist vor allem die NemID, die digitale Signatur, mit der die Dänen sich für digitale Verwaltungsleistungen ausweisen. Die NemID ist eine Kooperation mit den dänischen Banken, d.h. sie wird auch für Online-Banking genutzt. Die Identifizierung für Verwaltungsleistungen geschieht zumeist über dk, dem Bürgerportal. Die NemID wird von annähernd allen Dänen genutzt, ihre Nutzung ist allerdings auch verpflichtend. Dazu kommt noch die digitale Post – ein sicherer digitaler Postkorb, in dem die dänischen Behörden rechtssichere Bescheide, etc. hinterlegen können. Auch der Postkorb wird von etwa 90 Prozent aller Dänen benutzt. Weitere Informationen dazu gibt es hier: https://www.digitales-daenemark.de/
- Gemeinsame Projekte durchführen. Dies gilt vor allem entlang der Ziele der gemeinsamen Digitalisierungsstrategie.
„2001 haben wir mit der Einführung der digitalen Signatur begonnen“, berichtete uns Jens Krieger Røyen, Head of Division for international Coordination, der Digitalisierungsagentur. 2007 kam dann die NemID und 2014 und 2015 stand Dänemark auf Platz 1 des DESI-Index im Bereich Public Services. „Dies geschah vor dem kulturellen Hintergrund des Vertrauens der dänischen Bevölkerung in die Digitalisierung“, erläuterte Røyen die schnellen Fortschritte im E-Government. Die Digitalisierungsagentur ist übrigens nicht für die IT-Ausstattung und -Services der dänischen Regierungsbehörden zuständig, das übernimmt Statens IT, mit rund 320 Mitarbeitende.
GoRiMa – persönlich vor elektronisch
Im besonderen Interesse der „Next:Kursion“ standen Personalmanagementfragen im Kontext der Digitalisierung. Hierzu berichtete uns Laura Olsen, Teamleiterin Personal der Digitalisierungsagentur. „Unsere Aufgabe ist es, Hierarchie und Projektarbeit miteinander zu verbinden“, erläuterte Olsen. Die Digitalisierungsagentur arbeitet in einem Mix aus horizontalen und vertikalen Prozessen – die interne Vernetzung muss hierfür gestärkt werden. Eine sichtbare Folge daraus ist, dass die Räumlichkeiten ausschließlich in Teambüros für 6 bis 8 Mitarbeitenden aufgeteilt sind. Es gibt keine Einzelbüros mehr. Dieses Konzept muss auch von den Führungskräften vorgelebt werden – so sitzt auch die Direktorin der Agentur in einem offenen Büro. „Wir haben in den letzten Jahren unterschiedliche Konzepte ausprobiert. Desk Sharing haben wir wieder gelassen, es traf nicht auf Akzeptanz bei den Mitarbeitenden“, erläuterte Olsen.
„Netzwerken ist Teil unserer DNA“
Für die vertikale Vernetzung sind neben den Teamräumen auch zahlreiche Projekträume verfügbar, die alle mit Whiteboards ausgestattet sind, an denen sich die Teams zur täglichen Lagebesprechung treffen und den Projektstand abtragen. Für ruhige Telefonate gibt es „Telefonzellen“ und zur Auflockerung gibt es großflächige Kommunikationsräume, als „Cafeteria“ gestaltet. „Netzwerken ist Teil unserer DNA“, so Olsen. Dazu passt auch die interne Losung „GoRiMa“, das steht für Go-Ring-Mail, also bei Rückfragen zunächst zum Kollegen, zur Kollegin hingehen, wenn das nicht klappt, anrufen und erst wenn das auch nicht funktioniert eine E-Mail schreiben. Auch in einer Digitalisierungsagentur wird also der persönliche Kontakt hochgehalten!
Hohe Fluktuation
Dänemarks Arbeitsmarkt ist von starken Fluktuationsbewegungen der Arbeitnehmer geprägt. Das ist auch eine Folge der dänischen Arbeitsmarktpolitik von Anfang der 2000er Jahre: Das dänische Modell „Flexicurity“ steht für die Kombination eines lockeren Kündigungsschutzes mit einem vergleichsweise hohem Arbeitslosengeld. Der Öffentliche Dienst ist hiervon nicht ausgenommen – es gelten keine besonderen Regelungen mehr und ein Berufsbeamtentum wie in Deutschland gibt es in Dänemark nicht mehr. „Flexicurity“ war zur Linderung der hohen Arbeitslosenquote in Dänemark Anfang der 90er Jahre gedacht, seit 2000 herrscht aber gewissermaßen Vollbeschäftigung mit einer Arbeitslosenquote von 4 bis 5 Prozent (mit einem Ausbruch nach oben von 2008 bis etwa 2015). „Heuer und feuer“, wie unsere Dolmetscherin des Öfteren übersetzte, ist in Dänemark auch im öffentlichen Dienst möglich. Zumindest in der Digitalisierungsagentur hat sich dies aber in eine hohe Wechselbereitschaft seitens der Beschäftigten umgekehrt. „Unsere Mitarbeitenden bleiben im Schnitt zwei bis drei Jahre bei uns“, erläutert Laura Olsen. Das bringt große Anstrengungen im Recruiting mit sich: „Allein im letzten Jahr hatten wir 134 Stellen zu besetzen, 40 davon waren neue Stellen“, so die Personalerin – zur Erinnerung: insgesamt arbeiten 290 Beschäftigte bei der Digitalisierungsagentur. Versteht sich, dass der Auswahlprozess „nur“ einige Wochen dauert.
Mit einem Wertemix aus „Sinnhaftigkeit“, „Verantwortung übernehmen“ und „Erfolg“ wendet sich die Agentur an potentielle Bewerber. Die drei Stichworte wurden durch Mitarbeiterbefragungen gewonnen, die alle zwei Jahre durchgeführt werden. In der Nachwuchsgewinnung agiert die Behörde als Arbeitgeberin selbstbewusst und sucht „leistungsstarke“ und „ehrgeizige“ Mitarbeitende. „Wir sind unter den TOP 8 Arbeitgebern Dänemarks“, berichtet Olsen stolz. Dabei bleiben sie in der Außendarstellung immer betont authentisch, dazu gehört auch, dass auf der Karrierewebseite neben aktuellen Mitarbeitenden auch ehemalige Beschäftigte zu Wort kommen.
„Alles muss in einem anderen Tempo umgesetzt werden, weil die Mitarbeitenden kürzer da sind.“
Vor allem individuelle Karrierewege stehen bei der dänischen Digitalisierungsagentur im Zentrum um Arbeitszufriedenheit und Motivation zu steigern. Die Digitalisierungsagentur bietet vier Karrierewege an (Spezialist, Generalist, Projekt-Manager und Führung), die in Breite und Tiefe variieren – also nicht nur auf die klassische „Karriereleiter“ fokussiert, sondern auch Fachkarrieren, etc. zulässt. Im Zentrum dafür steht ein jährliches Entwicklungsgespräch zwischen dem Mitarbeitenden und der Personalabteilung. Auch setzt die oberste Digitalisierungsbehörde Dänemarks auf „sichtbare Führung“.
Aufs Tempo drücken
Die hohe Wechselbereitschaft der dänischen Beschäftigten hat Folgen, nicht nur bei der Digitalisierungsbehörde. „Onboarding, Karriereentwicklung, Feedbackschleifen – alles muss in einem anderen Tempo umgesetzt werden, weil die Mitarbeitenden kürzer da sind“, berichtete Senior Consultant Pia Ravn von der dänischen Gewerkschaft DJØV, die hauptsächlich Akademikerinnen und Akademiker aus Privatwirtschaft und Öffentlichen Dienst betreut. „Die Generation X hat etwa acht Jobs im Leben, bei der Generation Y gehen wir von etwa 16 aus und bei der Generation Z schon von 35“, so Ravn. Der Freiheitsgrad der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt wird immer größer, so würden in Zukunft rund 40 Prozent der Erwerbstätigen als Freelancer arbeiten.
„Wenn Sie die e-Skills der Bürger entwickeln wollen, müssen Sie die e-Skills der Mitarbeiter der Verwaltung erhöhen.“
Die dänische Arbeitsmarktpolitik zeichnet sich durch wenige gesetzliche Regelungen aus – so gibt es zum Beispiel keinen Mindestlohn und sehr flexible Regelungen bei Einstellung, Entlassung, Arbeitszeit und Vergütung. „Die Arbeitsbedingungen werden hauptsächlich durch Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern geregelt“, erläutere Maja Kure Kristensen aus dem Tarifbereich der DJØV. Aber auch die Mitspracherechte der Mitarbeitenden beim Arbeitgeber sind vergleichsweise stark und in Betriebsvereinbarungen geregelt: „Das Management hat zwar das Recht, über die Arbeitsbedingungen zu bestimmen und Arbeit zu verteilen. Aber jede Änderung, die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden hat, muss vorher gemeinsam besprochen werden, bevor sie durchgeführt wird“, so Kristensen. Auf diese Weise muss auch der zukünftige Kompetenzbedarf zusammen mit den Mitarbeitern besprochen werden – eine sehr sinnvolle Regel schaut man auf die sich wandelnden Kompetenzanforderungen durch die Digitalisierung.
Digitale Kompetenzen
Dabei stärkt digitale Kompetenz der Beschäftigten im öffentlichen Sektor auch die digitalen Fähigkeiten der Bürgerschaft insgesamt. Schön ausgedrückt hat das Anders Lillienfryd Holte von KLK, eine von den dänischen Gemeinden getragene Kommunalberatung: „Wenn Sie die e-Skills der Bürger entwickeln wollen, müssen Sie die e-Skills der Mitarbeiter verbessern“. Auch die DJØV berät ihre Mitglieder beim Aufbau zukunftsfähiger Kompetenzen. „Problemlösungskompetenz, soziale Kompetenzen, Neugier und Kreativität sind gefragte Kompetenzen, die auch nicht automatisiert werden können. Hier helfen wir unseren Mitgliedern, diese Kompetenzen aufzubauen und halten das für den besten Schutz, nicht wegautomatisiert zu werden“, berichtete Pia Ravn.
Vom Spezialisten zum Coach
Anschaulich wurde dies in der Gemeinde Frederiksberg, die auch als Vatikanstaat Dänemarks bezeichnet wird, da sie eine eigenständige Kommune innerhalb Kopenhagens ist. Frederiksberg hat den Bürgerservice in den letzten 8 Jahren komplett umgebaut und einen Schwerpunkt auf den digitalen Bürgerservice gelegt. In Frederiksberg nutzen beispielsweise 75 bis 95 Prozent der Bürger die Online-Dienste bei Umzug, Beantragung der Gesundheitskarte und Pässe – eine durchschnittliche Nutzung der Online-Dienste von 80 Prozent ist das erklärte Ziel, erläuterte Merete Elisabeth Røder, Leiterin des Bürgerservices in Frederiksberg. Derzeit experimentiere die Kommune mit dem Chatbot „Kiri“, er habe aber noch keinen sichtbaren Effekt, helfe aber, die Webseite zu verbessern. „2013/14 kamen rund 100.000 Personen zu uns in den Bürgerservice – jetzt sind es knapp 60.000“, erläuterte Røder. Die durchschnittliche Wartezeit betrage 8 Minuten und 12 Minuten, wenn der Bürger vorher nichts digital erledigt hat.
Dadurch hat sich das Selbstverständnis der Arbeit im Bürgerbüro stark verändert, von „wir erledigen es für dich“ zu „wir helfen dir, es selbst zu erledigen“, erläuterte Teamleiterin Kwestan Sharif. Im Bürgerbüro der Gemeinde sind zahlreiche Online-Terminals aufgestellt, auch ein Fotoautomat für Passfotos, und die Mitarbeitenden beraten die Bürger, wie sie die Online-Dienste benutzen können – dafür haben sie alle ein T-Shirt an, auf dem „Frag mich!“ draufsteht. „Die Mitarbeitenden müssen bessere pädagogische Fähigkeiten besitzen und sich vom Spezialisten zum Generalisten, bzw. zum Coach und Supervisor weiterentwickeln, dabei aber die digitalen Systeme selbst verstehen“, erläuterte Sharif. Dieser Wandel gehe nur schrittweise, rät Sharif: „Beziehen Sie die Mitarbeitenden mit ein, holen sie sie ab, wo sie stehen und lassen sie sie selbst Verantwortung für die Entwicklung und den Prozess übernehmen“, rät Sharif.
Fazit: Der dänische Alltag ist digital
Dänemark ist in der Entwicklung der Digitalisierung rund zehn Jahre weiter als Deutschland. Das hat deutliche Auswirkungen auf die Dienstleistungserbringung im Öffentlichen Sektor, auf die geforderten Kompetenzen bei den Beschäftigten, den Aufbau der Verwaltungsprozesse und die interne Zusammenarbeit. Jedoch sind die Entwicklungen auch vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktpolitik der letzten fast 20 Jahre zu sehen. Vor allem das „Flexicurity“-Modell hat, unter den Rahmenbedingungen der Vollbeschäftigung, die Wechselbereitschaft der Beschäftigten nochmals gestärkt. Insgesamt betrachtet, ist es daher sicherlich fraglich, ob die dänischen Entwicklungen in dieser Form und Drastik auf Deutschland übertragbar sind. Dennoch konnte die „Next:Kursion“ wichtige Themen aufzeigen, von denen wir noch einiges lernen können, z.B. was es heißt, als Öffentlicher Dienst wettbewerbsfähig auf den Arbeitsmärkten zu bleiben. Auf diese Einzelthemen bezogen, war die „Next:Kursion“ ein lohnender Blick in eine mögliche Zukunft und worauf sich deutsche öffentliche Arbeitgeber in den nächsten Jahren einstellen müssen.